Interview mit PMS

BOOMZINES: Ihr seid schon länger als Kollektiv mit PMS unterwegs. Was bedeutet euch kollektive Arbeit? bzw. Warum habt ihr euch für eine kollektive Arbeitsweise und eine feste Gruppe entschieden?
PMS:

  • gegenseitig (unter-)stützen, zuhören, miteinandevr über gemeinsame Themen reden und voneinander Neues lernen können

  • Freundschaft, Community (aber nicht nur so als Phrase, sondern echt - wenn wer krank ist, gehen wir einkaufen; wenn wer länger sad ist, dann fragt irgendwann die dritte Person "Ey, weißt du, wie es Dings geht? Wollen wir ihr eine Pieksematte/einen Eintopf schenken?"

  • schreiben = fühlen, kollektives Schreiben = gemeinsam fühlen, gemeinsam heulen 

  • der Text fühlt sich erst mal so in Sicherheit an, wenn man den wem zeigt, mit dem man seit 5 Jahren zusammenarbeitet, er wird von den anderen geschützt (auch wenn es schon mal auch gab, dass Leute meinten: "Ey, dein Text nervt mich.")

  • Kunst und Literatur muss nicht im Alleingang entstehen

  • feste Gruppe: Struktur, Verbindlichkeit

  • verschiedene migrantische Backgrounds und Minderheiten sind vertreten: Ich lern was über die Welt (next generation, no haymat weit und breit)

  • ​genau genommen chillen wir einfach gern gemeinsam (ich habe wirklich selten so sehr gelacht, wie mit euch, Leude) -> manche gehen in der Arbeit drumherum auch total auf (organisieren, gestalten, nach Neuem suchen - Orte für Lesungen, Veranstaltungen und so) - > manche Leute sind krasse TALENTSZZ im Organisieren von Sachen. Ich hab nie Bock auf Orga und es wird respektiert, ich liebe das. (Ich liebe den Moment nach selbstorganisierten Lesungen, wenn plötzlich alle migrant mamas werden und turbo aufräumen.)

  • es geht viel ums Teilen (Erfahrungen, Geheimnisse, Traumata, Telegramgruppen, Pommes, Schmerz, den Prozess des Erwachsenwerdens und Erwachsenseins)

  • ich hätte auch Lust mehr mit verschiedenen Leuten zu arbeiten, aber eine feste geschlossene Gruppe gibt mir die Sicherheit, die ich brauche, um überhaupt über die Themen zu schreiben, die raus müssen


BOOMZINES: Welche Vorteile seht ihr darin, im Kollektiv zu arbeiten?
PMS:

  • man muss nicht alleine auf Bühnen sitzen

  • irgendwer kocht immer / es gibt Snacks

  • irgendwer lacht immer​​​​​​ / irgendwer weint und dann müssen die anderen auch Gefühle zulassen lernen

  • ​sich gegenseitig halten

  • Feedback + Motivation​​​​​​

  • ich hätte alleine nicht den Mut gehabt mit dem Lesen und an Texten weiterarbeiten anzufangen

  • es macht mega Spaß, von anderen Texte ​​​​​​am Anfang kennenzulernen oder jemand erzählt eine Anekdote und man ruft: “Das ist ein Text, schreib ihn!”, und wenn er dann tatsächlich entstanden ist, dann fühlt man sich mit einem fremden Text ganz tief verbunden

  • eine Gruppe hat immer eine Weisheit, die Individuen nicht haben, die geht manchmal an, wie ein Licht -> Tadaa! Das ist dann ein besonderer Moment der Verbindung.  ​​​​​

  • ​von unterschiedlichen Stärken profitieren (Orga, Emo, Witzbold usw.)

  • lernen zu kommunizieren -> und lernen Spannung auszuhalten und Lösungen zu suchen/finden


BOOMZINES: Was sind eure Beweggründe, euch für Selfpublishing zu entscheiden? Und warum macht ihr das kollektiv?
PMS:

  • Schwarmintelligenz nutzen; es macht Spaß; viel Neues über Layout, Satz, Papier, ... lernen

  • keine Bindung (Verpflichtungen, Zeiten/Termine, ...) gegenüber "Dritten"

  • ​es wär eine Überwindung, mit weiteren unbekannten Personen zusammenzuarbeiten, da ein gewisses Vertrauen erst aufgebaut werden muss (vor allem beim Lektorat zu sensiblen Texten/Themen) 

  • wir sind zu angestrengt von Leben, Lohnarbeit, Beziehungen, Scheiße und Trauma, als dass wir mehrere Leute über eine Deadline schleppen könnten ​​​​​

  • Literaturbetrieb zu stressig zu Business

  • da soll keiner reinreden, außer wir

  • wär schon geil, mehr Geld für die eigenen Texte zu sehen und den Vertrieb nicht selber zu machen

  • Vertrieb kostet viel Kraft und die Kooperation mit Buchläden ist kleinteilig


BOOMZINES: Wieso war es euch wichtig, ein Zine zu veröffentlichen, statt eure Texte ins Web/online zu stellen? Welche Vorteile seht ihr im Printmedium?
PMS:

  • kann so hübsch bei Lesungen und in Buchläden ausgelegt werden und zu Hause im Regal

  • ​fühlt sich so schön an, zu wissen, da ist ein BUCH und außerdem war es mega schön mit so coolen Layouter_innen zu arbeiten und Bücher sind halt toll

  • online wäre natürlich zugänglicher, aber irgendwie fühlt sich das nicht so geschützt an  ​​​​​​​​​​​​​​​​​​

  • weil die krassen Nerds so über Papierstärke und so abnerden und ich find echte Bücher geil

  • ​​​riecht gut​​​​

  • Buch ist besseres Weihnachts​​geschenk als Link zu einer Webseite


BOOMZINES: Wie finanziert ihr eure Zines? Und welche Schwierigkeiten stellen sich beim Thema Geld und welche Lösungen habt ihr gefunden?
PMS:

  • Einnahmen über Lesungs-/Workshop-Honorare und Verkauf der gedruckten Bücher

  • am Anfang der Druckphase musste irgendwer auslegen, aber ​​​​​​dann haben wir das Geld wieder reinbekommen und jetzt sind wir wieder im Plus --> und damit können wir neue Projekte finanzieren und andere Autor_innen zu unseren Lesungen einladen UND ihnen ein Honorar zahlen

  • viel Arbeit ist halt gratis quasi, deswegen sind wir auch so langsam


BOOMZINES: Viele BIPoC, jüdische und migrantische Zinemaker sind nicht auf Zinefests vertreten. Wie ist das bei euch? Und wo platziert ihr eure Publikationen und warum?
PMS:

  • bisher ein Zinefest, ansonsten hatten wir auch schon Bücherstände auf dem Marktplatz und bei einem queeren Festival

  • ​Abstellkammer​​​​​​ von einer von uns

  • ein paar ausgewählte kleine Buchläden (vor allem in Leipzig, 1 Laden in Berlin, zeitweise in Halle) und wir überlegen, welche Buchläden noch Interesse daran haben könnten, das Buch auszulegen

  • Instagram mit Möglichkeit über Mail zu bestellen; fühlt sich einfach und machbar an 

  • ​mehr Buchländen wären toll, aber manche schrecken zurück, weil sie zu wenig dran verdienen würden und wir müssen dann auch die Kommunikation und Lieferungen machen​​​​​​


BOOMZINES: Da ihr schon länger mit dem Thema Selfpublishing befasst seid: Was sind aus eurer Sicht, Vor- und Nachteile des Selfpublishings, die ihr anderen mit auf den Weg geben möchtet? (z.B. was Ressourcen, Vertrieb, Ambivalenzen, Vermarktungszwänge etc. angeht)
PMS:

  • lange Aushandlungsprozesse -> Wie können alle möglichst zufrieden sein? Was wären Kompromisse?

  • ​das typische Ding, nicht davon leben zu können - d. h., dass wir parallel andere Jobs machen oder teilweise gleichzeitig noch betriebsnäher schreiben​​​​​​

  • wahrscheinlich aber auch weniger Druck als wenn ein Verlag dranhängen würde bzw. Bookdeal = Pressure = PMS is not good with pressure

  • aber wenn wir 180K hätten ...​​​​​​​​​​​​


BOOMZINES: Wie organisiert ihr euren Vertrieb? Was würdet ihr anderen Zinemakern diesbezüglich raten?
PMS:

  • online, Buchläden, Auslage bei Lesungen

  • eine Telegramgruppe pro Thema, nicht alles in eine Gruppe klatschen (ist übersichtlicher) ​​​​

  • ​Abwägen: Wie viel Energie haben wir? Es gibt Möglichkeiten, sich den Druck rauszunehmen, z. B. indem man von vorne herein klarmacht, dass der Versand ein wenig dauern kann

  • ich finde es gut, dass wir eine Preisspanne haben (​​​​​​aber oft geben poor people mehr als rich people - warum ist das so, das nervt!)

  • ​dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren

  • auf jeden Fall ​regelmäßig einander updaten (Wer verkauft gerade wo? Braucht die Person Hilfe, Unterstützung oder eine Ablösung?)

  • nicht denken, dass es voll krasssssss werden muss und voll das krasssseee Dinnnnng ist


BOOMZINES: In eurem Vorwort von PMS1 wird eure Kritik an den Wertmaßstäben vom Literaturbetrieb und den etablierten Ausbildungsstätten explizit, könnt ihr das mehr erläutern und inwiefern ihr euer Schreiben und eure Publikationstätigkeit als Befreiung davon begreift?
PMS:

  • och Business ist immer ein bisschen Dreck dran, ist halt Teil vom Kapitalismus, das merkst Du auch. Ist denke ich normal für alle Kunstschaffenden, da ein bisschen mitspielen zu müssen. Machen wir alle auch manchmal. Also ich zumindest. Aber um nicht zu krass reinzurutschen in Wettbewerb, Selbstvermarktung, Du-bist-dein-Erfolg, strategische Allianzen etc., ist es wichtig eine Instanz zu haben, die stabilisiert und die eigenen Werte als Künstler*in/Schreibende/Whatever (und Mensch) nochmal in Erinnerung ruft. Also zum Beispiel hilft es mir krass ein starkes Außen + Gruppe zu haben, die sagen “Brudi, du musst Dich nicht auf diesen Preis bewerben, wozu? Nur, wenn Du willst”.

  • ​vor allem kann es hilfreich sein, bestärkt zu wissen: hey, auch ohne (krasse) Ausbildung kannst und darfst du schreiben und dich in der Literaturwelt ausprobieren und äußern - auch wenn alle aus dem kollektiv eine akademische Ausbildung haben (dessen sind wir uns bewusst)​​​​, ist der Umgang damit und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten keine Selbstverständlichkeit. Zusammen zu arbeiten kann Selbstzweifel oder Druck verringern.

  • Immer, wenn ich irgendwo alleine bei einer Literaturbetriebssache dabei bin und mein Herz rast und ich denke “was mache ich hier”, bin ich froh zu wissen, dass zu Hause meine Leute warten, die andere (aka die richtigen) Maßstäbe an Literatur setzen

BOOMZINES: In eurem Vorwort zu PMS2 thematisiert ihr die fehlende Repräsentation von (post)migrantischen, weiblichen, queeren, nicht-binären und caregiver Perspektiven in der Literatur, die ihr mit eurer Publikation u.a. ausgleichen wollt - könnt ihr auch hierzu mehr berichten?
PMS:

  • I mean, look @ us, wir leisten Beitrag einfach durchs Existieren

  • kB mehr auf alte weiße cis Mann Literatur, siehe Schulzeit

  • v.a. weiße reiche elite cis Männer, (mich würde Literatur von armen alten weißen Männern interessieren)...  das ist auch ein Ding, der Literaturbetrieb gehört krassss der bürgerlichen Elite, dagegen sind wir schon ein Kontrast, auch wenn wir race und class mäßig total unterschiedlich durch die Welt gehen

  • aber eigtl. machen wir das in erster Linie für uns selbst, weil ich hätte gerne als jüngerer Mensch Sachen gelesen, die wir jetzt schreiben; wow i love 

  • der Plan war nie, die Diversitätslücke zu schließen, sondern aufeinander aufzupassen, während wir uns trauen unsere Themen und Positionen rauszuhauen


BOOMZINES: Was sind eure Erfahrungen mit eurem Ansatz? Wie reagieren Menschen auf euch? Community, etc. 
PMS:

  • bei uns sitzen auch viele Almans, die was lernen wollen, was ich persönlich cool finde. Manchmal gabs aber auch schon krasse Communitylesungen bzw. geile Mischung aus sweeten Leftiekartoffies, unseren Friends, queers, marginalizedsz, etc. etc. - d.h. alle irgendwie (aus der Bubble halt, leider fehlt ein bisschen die older generation.)

  • Also insgesamt reagieren die Leute besonders gerührt auf das Format Lesung. Man kommt automatisch runter, wenn mensch sich hinsetzt und die Fresse hält und dann teilt man manchmal krasse Welten, das ist cool. 

  • wir bringen mit unseren Lesungen Leute oft zum Weinen und das bedeutet mir die Welt

  • und manchmal weinen wir selbst, was auch Verletzlichkeit (klingt cheesy i know) in die Öffentlichkeit bringt, Nahbarkeit und irgendwie vielleicht eine Loslösung vom Funktionierenmüssen

  • Glaube, Leute können bei unseren Lesungen nicht aufhören was zu fühlen, und das ist in dieser Welt mit den vielen Reizen heutzutage besonders

  • wir lesen immer durcheinander: wie bei einem Konzert haben wir eine Setlistt, wo wir nach dem Gefühl, was wir bei dem Text haben die Reihenfolge bestimmen und irgendwie entsteht dann so eine magische Stimmung

  • ich glaube, die Community ist teilweise gespalten, weil wir auch weiße und white passing migrants dabei haben, aber irgendwie haben wir uns so gefunden und es passt für uns und wir lernen von unseren Gemeinsamkeiten und Unterschieden; yes, stimmt; dankbar dafür

  • aber lets be completely honest: für manche BIPoCs sind wir nicht cool genug, aber das ist am Ende des Tages deren Verlust, auch wenns trotzdem wehtut​​​​​​​​​​​​


(2023)

 

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