Interview mit Seedling Library
BOOMZINES: Welche Rolle spielt Community in deinem Zinemaking?
SEEDLING LIBRARY: Die meisten meiner Zines bzw Texte, die ich in Zines umwandle, entstehen in oder in response to (QTI*)BIPoC [queer, trans, inter* Black, Indigenous People of Colour] Spaces: bei Workshops, poetry nights, Arbeitstreffen, Gesprächen mit friends, usw. Die damit verbundenen Gefühle, Assoziationen, Bilder zu archivieren und später an diese Menschen zurück-und-weiterzugeben ist mir wichtig. Viele meiner Zines befassen sich mit Bienen, weil das seit vielen Jahren ein Special Interest von mir ist - über sie fühle ich mich mit allem verbunden. Es ist aufregend, in diesen Räumen mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die auch neugierig auf Bienen sind, das hat mir lange Zeit gefehlt.
Meine Zines richten sich auch deswegen hauptsächlich an QTI*BIPoC, denn das sind die Menschen, die ich erreichen und mit denen ich mich am meisten verbinden möchte. Wenn ich Zines in Person verkaufe, habe ich gestaffelte Preise, dabei ist die Preisskala für cuties* niedriger angesetzt als die reguläre. Manche Zines sind auch wirklich nur für BIPoC les- und erstehbar, andere für sie umsonst oder auf Spendenbasis**.
Ich freue mich total über die vielen herzlichen Begegnungen bisher und finde es immer sehr berührend, Zines von anderen cuties zu lesen. Denn das sind ja oft auch Archive und modes of survival - da ist so viel Kreativität, Geschichte und Emotion drin, und auch so viele overlaps über Diasporas hinweg.
Tatsächlich bin ich noch gar nicht so lange in der Zine-Welt unterwegs und wünsche mir in Zukunft noch mehr Austausch (und Zine-Swaps), vor allem mit fellow Black & brown cuties - let’s connect!! In meiner bisherigen Erfahrung sind bei Zine-Veranstaltungen in Berlin besonders das Publikum, aber auch Verkaufende mehrheitlich weiß, und unter den BIPoC Zinesters dort hab ich überwiegend fellow light-skinned und non-melanated Leute getroffen. Wie werden diese Räume zugänglicher bzw. sicherer für Menschen, die deswegen nur vereinzelt oder gar nicht anwesend sind? Ich hoffe, dass Spaces wie BOOM Zines mehr Leute, die bisher noch nicht so vertreten bzw. sichtbar sind, ermutigen können, Zines zu machen, zu teilen und auch weitere Initiativen wie diese zu gründen.
* cuties = QTI*, persönlich meine ich mit dem Begriff immer spezifisch QTI*BIPoC und keine weißen Menschen.
** z.B. @ Schwarze cuties: ihr könnt mir schreiben, wenn ihr umsonst ein “sleeping cutie” Zine zugeschickt bekommen möchtet.
BOOMZINES: Wir haben uns gefragt, ob das Zinemaking bei dir eine Art Katalysatorfunktion bekommen hat? Hast du damit ein für dich passendes Ausdrucksmedium gefunden? Und wenn ja, warum, woran liegt das?
SEEDLING LIBRARY: Definitiv. Ich bin multidisziplinär:er Künstler:in und hatte schon immer viele verschiedene Leidenschaften, deswegen sind Zines perfekt dafür, meine ganzen Interessen zu verbinden. Ich kann darin meine Gefühle ungefiltert ausdrücken und verarbeiten, und das Schneiden und Falten am Ende ist immer sehr meditativ.
Ich mache momentan überwiegend Minizines in Größe DIN A7. Weil da nicht so viel reinpasst, hilft mir das, mich auf den Kern meiner Texte zu konzentrieren und sie tatsächlich auch zu teilen! Ich finde es oft sehr einschüchternd, besonders Gedichte mit einem Live- oder Online-Publikum zu teilen, deswegen ist das für mich ein tolles Medium. Es ist auch einfach was anderes, ein kleines Gedicht in die Hand nehmen zu können und physisch damit zu interagieren.
Ich mag außerdem, dass Zines meistens in sich abgeschlossen und “fertig” sind, aber immer noch erweitert werden können. Persönlich benutze ich QR-Codes für einige Poetry-Zines, die jeweils zu einer meiner Spotify-Playlists führen. So wird die Welt meines Gedichts ausgebaut und gleichzeitig durch die Songs und deren Reihenfolge eine eigene Geschichte erzählt. Das ist eine Art des Zitierens für mich: hier ist mehr Kontext, diese Artists sind meine References. Und es ist wieder eine Verbindung zu einer anderen Leidenschaft: Playlists machen.
Zinemaking hat also oft eine stimulierende Wechselwirkung für mich: Mache ich eine Playlist zu diesem Zine? Einen Film aus dieser Playlist? Ein Zine zu diesem Film?
BOOMZINES: Siehst du Verbindungslinien oder Ergänzungen zum Medium Film, in dem du auch arbeitest und kannst uns mehr dazu erzählen?
SEEDLING LIBRARY: Ich habe ziemlich jung angefangen Videos zu schneiden und bin insgesamt sehr vom narrativen und Musik-Video-Editing geprägt - Film ist für mich ein Storytelling-Medium mit vielen Elementen, die wie eine Collage zusammengesetzt sind, genauso wie Zines auch. Meine ersten eigenen Zines sind entstanden, während ich 2021 einen Kurzfilm mit dem Zinefest Köln* geschnitten habe, also gibt es da für mich auch ganz konkret eine Verbindung. Der Film ist sozusagen ein Zine in Videoform, da war bewusst der Gedanke, mit Schnipsel- und Collagen-Elementen zu spielen. Das hat super Spaß gemacht und war eine richtig schöne Kollaboration.
Teilweise sind meine Zines auch eine Weiterführung meiner Filme. Zum Beispiel habe ich im Poetry-Zine “gills” Standbilder aus meinem Kurzfilm “plant portals: breath” (2020) mit einem Gedicht, das zur gleichen Zeit wie der Film entstanden ist, verbunden. Das kann dann unabhängig voneinander existieren, oder zusammen.
Außerdem sind Fanzines ja ein großer Teil der Zine-Kultur und befassen sich oft mit Charakteren und Themen aus Filmen und Serien.** Zu vielen (Indie-)Filmen gibt oder gab es zumindest in den ‘90ern und 2000ern Making-of- bzw. Companion-Bücher*** in den verschiedensten Formen, inkl. ganzer Drehbücher samt Randnotizen, Produktionsskizzen, Tagebüchern vom Set, Prequels in Roman-Form …die sind oft so ähnlich wie Fanzines, von den Filmemacher:innen selbst veröffentlicht. (Das ist ein total cooles Format - googlet doch mal einen älteren Lieblingsfilm + “Buch zum Film”, vielleicht findet ihr den einen oder anderen Schatz!)
Fandom war schon immer Teil meines Lebens, trotzdem hab ich tatsächlich noch keine eigenen Fanzines gemacht. Ich sammle aber Filmlisten zu Themen wie Schwarzes deutsches Kino und queere Filme mit magischen Elementen, die möchte ich irgendwann mal in Zines umwandeln.
* Das Zinefest Köln ist übrigens Black-run!! Von @blackunrealities und @shavusberatung :)
** Beispiele: Bre’s “Fantastic Mr Fox” Flexagon, “Queer Movie Diary” von mixed rice zines
*** Beispiele: “The Fae Richards Photo Archive” zu “The Watermelon Woman” (1996), Das Film-Buchzu “Alles wird gut” (1998) - beides Black lesbian classics!
BOOMZINES: Bietet dir das Zinemaking besondere Freiheiten? Welche Rolle spielt dabei Unmittelbarkeit?
SEEDLING LIBRARY: Natürlich ist das Anfertigen eines Zines viel niedrigschwelliger als das Kreieren eines Films. Ein Zine kannst du spontan mit einem Stift und einem Blatt Papier in ein paar Minuten oder Stunden basteln - das finde ich sehr befriedigend und hilft bei kreativen oder emotionalen Blockaden. Für einen Film braucht es in der Regel schon um einiges mehr Zeit, Equipment, Kollaborateur:innen. (Aber tbh: where there’s a will, there’s a way)
Gleichzeitig brauche ich ehrlich gesagt für die meisten Minizines auch einige Wochen oder Monate, bis sie wirklich “fertig” sind. Die Zines, die ich nur analog bearbeite, sind meistens schnell fertig und werden nur noch eingescannt, aber für viele Zines setze ich Bilder, Zeichnungen und Texte am Computer zusammen. Das bedeutet mehr Raum für Veränderungen, als wenn ich Sachen auf Papier gemalt und festgeklebt habe. Ich möchte meine Zines immer direkt teilen, ändere aber meistens im Nachhinein noch viele Einzelheiten, bis ich wirklich zufrieden bin - deswegen gibt es oft unterschiedliche Versionen von meinen Zines. Ich mag, dass mein Zinemaking-Prozess sowohl spontan als auch langfristig sein kann.
BOOMZINES: Wo verkaufst du deine Zines? Was sind deine Erfahrungen damit?
SEEDLING LIBRARY: Ich verkaufe meine Zines bei Zinefests und Märkten, und online bei Etsy.
Bei Zinefests habe ich wie gesagt gestaffelte Preise, die QTI*BIPoC centern; weiße Menschen (egal ob QTI* oder nicht) werden generell gebeten, mehr zu bezahlen. Das klappt bisher ganz gut. Ich mag Zinefests gerne, weil mensch sich mit Leuten austauschen und andere Zinesters kennenlernen kann. Gleichzeitig kann so viel Input und die verbundene Vorbereitung auch viel Energie ziehen, anders als von Zuhause aus in meinem eigenen Tempo zu arbeiten.
Bei Etsy funktioniert das mit den Sliding-Scale-Preisen nicht so, da muss es einen Festpreis geben. Ehrlich gesagt lohnt sich Etsy für mich nicht so richtig - da Zine-Preise eh meistens niedrigschwellig angesetzt sind, weil sie eben zugänglich sein sollen, muss ich da eher aufpassen, nicht ins Minus zu kommen. Die Gebühren sind bei niedrigen Beträgen verhältnismäßig hoch und persönlich nicht so wirklich nachvollziehbar. Ich mag das manuelle Einpacken, Personalisieren und Verschicken von Zine-Post, aber vielleicht suche ich mir für 2024 eine Alternative weg von Etsy …
Am schönsten ist es immer, Zines zu tauschen, zu verschenken und geschenkt zu bekommen.
BOOMZINES: Gibts sonst etwas, was du mit uns zum Thema Zinemaking/Selfpublishing teilen möchtest?
SEEDLING LIBRARY: Anyone can make a zine!! Das Schöne ist ja gerade, dass Zines unendlich viele Formen und Themen annehmen können. Du musst nicht krass zeichnen oder schreiben können, um eins zu machen; wenn du willst, kann es auch nur für dich selbst sein und muss mit niemandem geteilt werden.
Ich kenne außerdem viele Filmmakers und -Fans und fände es super spannend, mehr Zines zu diesem Thema zu lesen, deswegen hier für alle, die Lust drauf haben, ein paar Film/Serien/Fandom Zine-Prompts:
● Zine über einen underrated Lieblingsfilm
● Top 5 Filme aus meiner Kindheit
● Review/rate your local cinemas
● Neuerzählungen von problematischen Filmen/Serien
● favourite headcanons, illustrated
● kurzes Drehbuch in Zine-Form
● Warum Staffel X von Serie Y die gayste ist
● Character-Bibles als Zines
● Fanfiction!!
Danke euch für die schönen Fragen und diese Plattform ♥
(2023)