Interview mit Blackunrealities / Judith

BOOMZINES: Warum hast du dich fürs Zinemaking entschieden, wer/was hat dich inspiriert?

BLACKUNREALITIES/ JUDITH: Ich habe immer geschrieben, mir kleine Geschichten ausgedacht und Bilder gemalt. Schon als Kind habe ich gern kleine Bücher gebastelt.

Als ich erwachsen war, hatte ich irgendwann sehr viel Material, vor allem Texte. Ich wusste nicht, was ich damit machen soll: auf einer Bühne stehen oder Verlage anschreiben fühlte sich zu dem Zeitpunkt überfordernd und nicht richtig an.

Bei einer Lesung von SchwarzRund habe ich zum ersten Mal Zines kennengelernt. Das habe ich dann direkt selbst ausprobiert. Aus „ich probiere es einfach mal aus“ und „irgendwann mache ich etwas ‚Richtiges‘ mit meiner Kunst“ ist geworden: „Das mache ich, und es ist gut so. Es ist schon genau richtig. Es ist meine Kunst.“.

BOOMZINES: Wie verkaufst du deine Zines? Auf welchen Wegen machst du sie sichtbar?

BLACKUNREALITIES/ JUDITH: Ich verkaufe meine Zines über Etsy, eine Onlienplattform für Selbstgemachtes. Ab und zu teile ich auch Zine-News bei Instagram. Tatsächlich erlebe ich aber, dass die Sichtbarkeit und Verkäufe vor allem durch Netzwerken entstehen- weitersagen, Zine-Workshops besuchen oder geben, weiterempfehlen, Privatnachrichten, aber auch Verbindungen mit Zinebibliotheken oder Schwarzen Bibliotheken.

Besonders gern tausche ich Zines, zum Beispiel gegen etwas anderes Selbstgemachtes, ein Gedicht, ein Bild, eine Kuchen-Einladung. Das fühlt sich für mich passender an zu dem, was Zines mir bedeuten.


BOOMZINES: Vor welchen Herausforderungen stehst du beim Zinemaking? 

BLACKUNREALITIES/ JUDITH: Ich denke, gerade als BIPoC Künstler*innen haben wir oft Imposter Syndrome: viele von uns haben verinnerlicht, dass unsere Kunst „nicht wichtig“ oder „nicht (politisch) genug“ ist. Gerade Zines sind als Medium in Deutschland noch nicht so bekannt, ich habe das Gefühl, dass sie oft noch belächelt werden.

Gleichzeitig aber auch oft das Gefühl, „zu viel“ oder „zu politisch“ zu sein. Ich spüre oft eine Spannung, meinen Communitys gerecht zu werden in dem, was und wie ich schreibe, und gleichzeitig ein dauerndes Ankämpfen gegen den weißen Blick, den ich ehrlich gesagt nicht immer ganz wegdenken kann. Ich finde manchmal schwer, darin bei mir zu bleiben und meinen persönlichen Ausdruck zu finden.

Deswegen hatte ich am Anfang oft das Gefühl, die Revolution in ein einziges Heft stopfen zu müssen. Dieser Anspruch ist so stressig! Denn das Besondere an Zines ist ja gerade, dass sie eine sehr persönliche Momentaufnahme sein können und wir freie Wahl darin haben, für welches Thema wir uns entscheiden. Und gerade das ist schon viel und schon genug. Und sehr, sehr revolutionär!

BOOMZINES: Welche Verbindungen siehst du zwischen Zinemaking, mental health, self care und healing? Themen, die eine große Rolle in deinen Zines spielen?

BLACKUNREALITIES/ JUDITH: Für mich ist Zinemaking eine Form von Selfcare. Es macht mir Spaß, beruhigt und ich kann ein schwieriges oder schmerzhaftes Thema in eine übersichtliche Form bringen. Oder umgekehrt: mich von schwierigen oder schmerzhaften Themen ablenken, indem ich über etwas ganz anderes schreibe. Oder einfach im Moment Freude daran empfinden, mich kreativ auszudrücken. Es ist immer: ich mache das jetzt, erstmal nur um es zu machen. Am Ende habe ich etwas Schönes in der Hand, das tut einfach gut.

Auch inhaltlich geht es in meinen Zines oft um Fragen nach Fürsorge und Heilung. Besonders interessieren mich Beziehungen und Begegnungen von Menschen in Community, aber auch das selbstgewählte Alleinsein, Erholung und Ruhe. Das Zine ist der Ort, wo ich diese Inhalte kreativ verarbeiten kann, und sie gleichzeitig beim Machen selbst erfahre.

BOOMZINES: Du verfolgst unterschiedliche Ansätze im Zinemaking, einerseits machst du poetische Zines, andererseits auch self help Zines - kannst du uns mehr dazu erzählen? Findest du Zinemaking bietet dir eine besondere Freiheit, was verschiedene Formen und Ausdrucksweisen und Interessen angeht?

BLACKUNREALITIES/ JUDITH: Ja, auf jeden Fall. Ich nutze Zines, um meine poetischen Texte und Kurzgeschichten „unterzubringen“, da genieße ich es, Bilder und Texte zusammenzustellen und sie thematisch passend zu sortieren. Und so entsteht eine sehr persönliche Sammlung.

Die kleinen Selfhelp-Zines entstehen dann, wenn ich über ein Thema nachdenke, mit anderen in Austausch bin und merke, dass auch andere Menschen sich mit dem Thema beschäftigen und Gesprächsbedarf dazu haben.

Zines sind nicht Bücher, der Entstehungsprozess und das Lesen ist ein anderes. Ich finde wichtig, dass beides existiert und Raum bekommt.

BOOMZINES: Wir haben darüber nachgedacht, dass es für viele Inhalte und Themen, Prozesse, die du in deinen Zines teilst - z.B. Support suchen, kaum Orte gibt - Ist das auch deine Motivation oder der Grund, warum du das Zinemaking für dich wählst?

BLACKUNREALITIES/ JUDITH: Zines als Medium bieten so viel Freiraum. Ich finde schön, dass ich alle möglichen Gedanken und Fragen darin unterbringen kann, ohne dass jemand anderes sagen oder entscheiden kann, ob es „wichtig“ ist oder nicht. Ich habe viele Fragen an Community oder mir fällt etwas auf, und ich denke darüber nach.

Für bestimmte Themen hätte ich mir eine Step-by-Step-Anleitung gewünscht, da ich- was durch Machtstrukturen bedingt ist- nie gelernt habe, wie das geht.

Zum Beispiel: Wie kann ich mein Umfeld nach Support fragen? Oder Wie kann ich mir selbst erlauben, etwas abzusagen, und wie mache ich das möglichst gut und klar? Diese Anleitung kann ich dann schreiben und sie in einem Zine verpacken, sodass es mir und anderen in Zukunft Dinge erleichtert. Dabei ist mir wichtig, etwas Freiraum zu lassen, sodass die Lesenden das Zine durch Schreiben oder Malen mitgestalten können.

Andere würden eher social media nutzen, um die Gedanken dort zu teilen. Das liegt mir nicht so, ich mag lieber analoge Medien und kommuniziere darüber mit der Welt.

Das Ausschneiden, Schreiben, Malen, Gestalten gehört für mich zu dem Prozess dazu, macht ein Kunstwerk aus den Inhalten, und macht den Prozess auch langsamer. Ich mag, dass das Lesen von Zines dadurch auch langsamer und achtsamer ist.

BOOMZINES: Ist Zinemaking für dich auch eine Praxis von Care (für dich selbst, aber auch für andere)?

BLACKUNREALITIES/ JUDITH: Zinemaking ist etwas, das ich der Community zurückgeben kann, und eine meiner Love Languages. Meine Lieben wissen schon, dass sie immer mal einfach so ein Zine von mir bekommen. Manchmal sind dann Themen darin, über die wir zusammen geredet haben, etwas, das mich einfach beschäftigt hat oder das ich lustig fand- ein Perioden-Zine, ein Sturz-Zine, als ich einen Unfall hatte, oder ein Zine über eine befreundete Person und unsere Erlebnisse.

Es macht viel Freude, Post zu bekommen, oder etwas Persönliches, Handgeschriebenes zu lesen, das Papier anzufassen.

Gerade in der Lockdown-Zeit habe ich erlebt, dass das nochmal auf einer besonderen Ebene Verbundenheit herstellen kann. In der Zeit habe ich angefangen, Zines zum Selbst-Reinschreiben zu machen. Ich fand das eine schöne Art, über die Entfernung einen Dialog anzustupsen. Später habe ich erfahren, dass Menschen die Zines ausgefüllt und ihren Friends weitergeschickt haben. Oder Personen haben mir erzählt, was sie in ihr Zine reingemalt haben. Ein Zine kam ausgemalt und beschrieben zu mir zurück und ich erfuhr erst Jahre später, von wem es war.

BOOMZINES: Du hast das Zinefest in Köln mitorganisiert, das einen sehr intersektionalen Ansatz verfolgte und viele BIPoC Zinemaker versammelt hat - das ist in Deutschland ziemlich einzigartig. Was waren eure Beweggründe, wie war die Resonanz und wie siehst du es rückblickend? 

BLACKUNREALITIES/ JUDITH: Das Zinefest haben wir als zwei Freund*innen ins Leben gerufen, später ist das Team dann gewachsen. Wir hatten Lust, diesen Raum anzubieten und zu schauen, womit er gefüllt wird. Alle von uns hatten unterschiedliche kreative Hintergründe, im Bereich Musik, Literatur, Design- obwohl so verschieden, sind die Strukturen leider überall ähnlich. Deswegen war es uns allen besonders wichtig, diesen Kunst-Raum mit einer intersektionalen Haltung zu öffnen und wertschätzend zu halten.

Es war erstmal ein Experiment: wir kannten einige BIPoC Zinesters privat, aber wussten nicht, wie viele es tatsächlich in Deutschland gibt und wer sich auf einen Open Call melden würde. Daher war der Call auch für weiße Menschen zugänglich; der Raum sollte aber mehrheitlich BIPoC gegeben werden.

Durch Corona haben wir uns für eine Online-Zineausstellung entschieden. Überraschenderweise haben sich Zinesters aus unterschiedlichen Ländern beteiligt, bis nach Spanien und Pakistan. Die Resonanz und der Bedarf so eines Raumes war also sehr groß. Es war sehr berührend, die Vielfalt an Zines zu sehen.

Gleichzeitig sind Zines doch vor allem physisch und es wäre toll, in Zukunft ein Präsenz-BIPoC-Zinefest zu planen!

In den letzten Jahren habe ich so viele Menschen kennengelernt, die Zines machen, aber das gar nicht öffentlich teilen. Manchmal ist das der Wunsch der Person, manchmal aber auch das Fehlen eines Raumes für diese Kunstform. Es ist sehr schmerzhaft, die eigene Kunst in einen Raum zu bringen, wo sie nicht verstanden und gewürdigt wird. Ebenso ist es sehr empowernd, einen Raum für die eigene Kunst zu finden, in dem das der Fall ist. Deswegen bin ich froh und dankbar, dass es immer mehr solcher Räume gibt.

(2023)

Weiter
Weiter

Perilla